10 PUNKTE FÜR EINE STARKE LINKE – Das machen wir doch mit links!

KOMMENTAR VON ROBERT MISIK (Quelle: TAZ vom 30.04.2012)

Es ist alles so kompliziert geworden. In der Wirtschaft. In der Politik. Und in den Parteien dominieren fade Polittaktierer. Außerdem sind die Linken zerstritten, sie könnten sich ohnehin auf nichts einigen. In Deutschland sitzen jetzt schon bald vier Parteien in den Parlamenten, die sich gegenseitig die Stimmen progressiver Wähler abjagen wollen. Und große Ziele – „Visionen“, wie das mit einem abgegriffen Begriff bezeichnet wird –, die hat doch ohnehin keiner mehr. Wird doch eh nie was draus?

Halt! Weiß ja jeder; ist ja alles wahr irgendwie. Aber irgendwie auch nicht. Die Linken sind seit jeher sehr talentiert darin, sich in 80 Prozent der Fragen einigermaßen einig, in 20 Prozent aber uneinig zu sein – und dann obsessiv auf diesen 20 Prozent Meinungsunterschieden herumzureiten. Wie wär’s, wenn man einmal die 80 Prozent im Auge behielte, auf die sich alle vernünftigen Leute einigen können sollten?

1. Es geht nicht gerecht zu. Aber das kann man ändern

Wir alle kennen die Statistiken, wir haben viele Charts und Grafiken gesehen, mit bunten Kurven und Balkendiagrammen: Die Ungleichheit wächst in den vergangenen 30 Jahren praktisch überall in den westlichen Marktwirtschaften. Die Löhne sinken seit 15 Jahren. Und auch die Vermögensungleichheit nimmt immer stärker zu.

Das ist nicht nur ungerecht, sondern zerreißt Gesellschaften. Je größer die Ungleichheit, desto schlechter lebt es sich in einem Land. Wir wissen auch, wie es dazu kam: Wir haben überall in Europa Unternehmensteuern gesenkt, Vermögensteuern reduziert oder abgeschafft, Erbschaftsteuern bis auf null reduziert. Das kann man ändern: In einem Maß, das die Ungleichheiten sukzessive ein wenig reduziert.

2. Ungerechtigkeit schadet. Gerechtigkeit nützt

Die kapitalistische Marktwirtschaft zerstört sich gerade selbst. Das sagen nicht nur Sahra Wagenknecht oder Jean Ziegler, das sagen auch der Starökonom Nouriel Roubini oder der milliardenschwere Investor Warren Buffett und neuerdings sogar OECD und IMF. Denn wenn die Produktivität wächst, ein paar Prozent immer mehr Millionen und Milliarden anhäufen und die Einkommen der breiten Masse sinken – wer soll dann noch die tollen Waren kaufen, die Jahr für Jahr mehr produziert werden?

Umverteilung von oben nach unten ist deshalb auch wirtschaftlich nützlich. Nein: Sie ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge sogar unumgänglich.

3. Gerechtigkeit nützt aber nicht nur wirtschaftlich

Grobe Ungleichheit ist nicht nur für eine entwickelte Marktwirtschaft Gift. Sie verpestet auch die Gemeinwesen. Denn Ungleichheit verhindert soziale Mobilität.
Wer in unterprivilegierte Verhältnisse hineingeboren wird, ist oftmals ein geborener Verlierer. Das schürt Ressentiments und macht schlechte Stimmung, ist die Ursache sozialer Pathologien von Kriminalität bis Suizid. Grobe Ungleichheit verschwendet die Talente von Menschen, die unter anderen Bedingungen etwas beitragen könnten zum Fortschritt der Gemeinwesen.

4. Die Löhne müssen steigen
Umverteilung ist natürlich nur der zweitbeste Weg zu mehr Gerechtigkeit. Das Beste ist, wenn das, was Ökonomen die „Primärverteilung“ nennen, schon gerechter wird. Also Löhne rauf, besonders in den Niedriglohnsegmenten. Und mögen vielen „modernen“ Linken Gewerkschafter auch oft „altmodisch“ vorkommen, wenn die Gewerkschaften schwächer werden, dann sinken auch die Löhne.

Die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahren hatten sicher ein paar positive Effekte, aber sie hatten einen großen negativen Effekt: Sie zwangen Arbeitsuchende, auch Jobs zu sehr schlechten Bedingungen anzunehmen. So entstand ein breiter Niedriglohnsektor, der dann plötzlich auch auf mittlere Einkommen einen Sog nach unten ausübte. Das muss repariert werden.
Ohnehin müssen die Löhne in Deutschland in den nächsten Jahren kräftig steigen, damit die gefährlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa reduziert werden.

5. Reformiert die Europäische Union!

Vieles von dem kann man auch im traditionellen Nationalstaat reparieren. Aber ein paar notwendige Dinge funktionieren nur im Rahmen der Europäischen Union. Beispielsweise haben wir den Euro als Gemeinschaftswährung eingeführt, die einzelnen Mitgliedsstaaten sind aber weiter für die Kreditaufnahme zuständig. Sie verschulden sich in „eigener Währung“, haben auf diese Währung aber keinen Einfluss mehr, als würden sie sich in „Fremdwährung“ verschulden. Deshalb können Eurostaaten auch pleitegehen. Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan können das nicht.

Das ist die eigentliche Ursache der „Eurokrise“. Deshalb muss die EZB garantieren, dass kein Euroland bankrottgehen wird – dass sie im Notfall einspringen und Staatsanleihen direkt aufkaufen wird.

6. Investieren statt blöd sparen

Gegenwärtig glaubt man, weil man die großen Lösungen nicht will oder zu feige für sie ist, mit Paniksparen „die Märkte“ beruhigen zu können. Der Fiskalpakt heißt de facto: Wir senken sehenden Auges das „Bruttoinlandsprodukt“ der EU. „Die Märkte“ wird das nicht beruhigen. Wenn es schon nicht realistisch zu schaffen ist, die „nationalen“ Staatsanleihen völlig durch europäische Anleihen – „Eurobonds“ – zu ersetzen, wie wäre es dann, zusätzlich dazu Eurobonds aufzulegen, und dann investiert die Europäische Kommission gezielt in die Krisenländer?

7. Reguliert die Finanzmärkte!

Aber natürlich ist es nicht damit getan, „die Märkte“ zu beruhigen. Vergessen wir nicht, was uns die Krise eingebrockt hat: deregulierte Finanzmärkte. Künftig sollte gelten: Normale Geschäftsbanken, die Spareinlagen von Bürgern einsammeln und Kredite an Unternehmen vergeben, genießen die staatliche Einlagensicherung; dafür dürfen sie nicht im Finanzkasino mitzocken. Investmentbanken dagegen dürfen ihre Risiken nicht in den normalen Bankensektor hineinstreuen. Kurzum: Es braucht wieder eine Firewall zwischen diesen Sektoren.

Es ist sicher im Detail schwierig. Aber wofür haben wir die tollen Spezialisten in der Finanzwirtschaft? Die sollen die Detailprobleme lösen. Man müsste sie nur ordentlich unter Druck setzen, etwa indem man sagt: Ihr habt drei Jahre Zeit, ordentliche Regeln auszutüfteln, ansonsten diktiert euch die Regierung die Lösung. So hat das auch Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren in den USA gemacht. Und es hat prima funktioniert.

8. Ein besseres Leben für alle

Bei alldem geht es nicht allein um Wirtschaftstechnokratismus, sondern darum, dass alle Menschen bestmöglich an der Wohlfahrt teilhaben können. Dass sie gute Jobs haben und dass sie aus ihrem Leben etwas machen und ihre Talente entwickeln können. Das Wichtigste ist, dass wir zumindest für die nächste Generation Startnachteile bekämpfen. Deshalb brauchen wir gute Kindergärten, und Kindergartenpflicht für alle Vier- und Fünfjährigen und gute gemeinsame Schulen für alle. Nivellierung nach oben!

Und das ist nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern davon haben alle etwas: Wir alle leben besser – letztendlich sogar die heute Privilegierten –, wenn alle besser leben.

9. Der Green New Deal

Genau solch eine Verbindung des gesellschaftlich Erstrebenswerten mit dem ökonomisch Nützlichen ist beispielsweise auch der Green New Deal. Seine Idee ist es, Jobs und prosperierende Branchen zu schaffen, die gleichzeitig Produkte anbieten, die uns allen nützen: intelligente Stromnetze, nachhaltig gewonnene Energie, neue Formen des Wohnens, neue Formen der Mobilität.

10. Wohlfahrt und Freiheit

Materielle Wohlfahrt ist nicht alles, aber sie ist schon auch eine Bedingung für ein gutes Leben – oder anders gesagt: für Freiheit. Freiheit heißt, dass jeder und jede ihr Leben nach den eigenen Präferenzen gestaltet. Aber nichts beschneidet so sehr die Möglichkeiten, sein Leben auf solche Weise „in Freiheit“ zu gestalten, wie materieller Mangel und Deklassiertheit.

Man könnte diese Liste noch ewig fortsetzen – weitere Punkte hinzufügen, auf die man sich einigen könnte, und ein paar noch, wo dann schon die Differenzen beginnen, vom Afghanistankrieg bis zur Vorratsdatenspeicherung bis zum Funktionieren unserer Demokratie. Hinzu kommt: Die einen halten Reformmaßnahmen für ausreichend, die anderen würden gern „noch weiter gehen“. Nun, das sollte einen aber doch nicht daran hindern, sich auf das zu einigen, worauf man sich einigen kann.

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